Aus­ga­be 9/10 • 2009

Von höherer Warte.

Editorial

Gewisse Schwächen der schwarz-gelben Koalition
Die Zustände und die Aussichten könnten besser sein. Deutschland ließe sich wirksamer regieren. Die Menschen sind durchaus dazu bereit, sich mit Steuern und Abgaben an die Kandarre nehmen zu lassen, um den verfahrenen Karren aus dem Staatsschuldenmorast auf festeren Grund und Boden zu ziehen, doch die politisch Weisungsbefugten in Berlin taktieren lieber mit Parteispielereien der Macht als vernünftige Vorgaben zu machen. Und, um es gleich zu sagen: Geld ist nicht das Problem, davon gibt es in den Kassen genug, im Bund, bei Ländern und Kommunen, sondern sein Gebrauch im Namen öffentlicher Aufgaben. Deutlicher: Wir haben keinen Mangel an finanziellen Ressourcen, sondern es fehlt an klugen Zielen für den Einsatz der Etats und vor allem fehlt es an Effizienz. Noch deutlicher: Wir leisten uns eine gigantische Verschwendung der vorhandenen Mittel, die auf allen Ebenen viel zu viele viel zu kleinteilige Gruppenwünsche erfüllen, statt zum Wohle aller wirklich nachhaltige Wohlfahrtsgewinne herzustellen. Tief eingerissen ist das schlechte Prinzip, nur noch umzuverteilen, so dass die Fortschritte für diese Vorteilsnehmergilde automatisch Rückschritte für jene Zahlergemeinde bedeuten. Das Schlüsselwort unserer Zeit heißt ja Gegenfinanzierung, wobei besonders stört, dass wir generell geschuldete Billionen verjuxen. Der Staat gestaltet nicht im Rahmen eines überlegten Entwurfs, der eine große Idee für das Gemeinwesen realisiert, sondern er erfüllt lauter Einzelbedürfnisse lamentierender Lobbyisten, kurz: Er prockelt an den Symptomen eines chronischen »zu wenig« an Teilhabe herum, ohne die gesamtgesellschaftlichen Ursachen für das ihm gegenüber kollektiv empfundene Defizit an Können und Dürfen mit einer Vision zu beantworten. Die Leistungsträger, denen mühsam erzeugte Überschüsse genommen werden, werden matt gemacht und die Leistungsempfänger, die häufig nicht wettbewerbsfähig sind, aus dem basisdemokratischen Ansatz entlassen, ihr eigenes Leben zu führen. In diesem Sinne war die legendäre »Agenda 2010« ja auch nie das, was sie angeblich zu sein versprach: Ein integriertes Konzept für eine lebenswertere Bundesrepublik mit einem politischen, ökonomischen, sozialen, kulturellen und intellektuellen Führungsanspruch in einem zusammenwachsenden Europa in einer zunehmend aneinander interessierten Welt, die sich im Zeichen fortschreitender Globalisierung anschickt, alte nationalstaatliche Konflikte um Territorien, Rohstoffe und Religion auf die höhere Stufe supranationaler Verantwortung für den Planeten zu heben, etwa im Klimaschutz. Übrig geblieben ist »Hartz IV«, ein absolut lächerliches Ergebnis.Aber was ist uns nicht wieder vor der letzten Wahl versprochen worden? Und 14,6 % der Wahlberechtigten haben es gern geglaubt. Eine neue »bürgerliche« Koalition! Sollte heißen: Das Leben in der oberen Mittelklasse des Merkelismus geht seinen guten Gang. Besserverdiener, sorgt Euch nicht, wir regeln das! Dabei ist das Maß der Dinge in Deutschland schon lange nicht mehr Zukunftsfreude, sondern nur noch Mitmachenkönnen, klar zu kommen mit immer schlechteren Rahmenbedingungen. Man kann ja mal die Probe aufs Exempel machen: Wer aus der Regierung hätte in ordentlichen Familienunternehmen die Chance, als geschäftsführender Gesellschafter persönlich haftend die Verantwortung zu übernehmen? Die Kanzlerin? Vielleicht als Aufsichtsrätin in einem Monopolkonzern. Der Vizekanzler und Außenminister? Vielleicht als Marketing- oder Messemann. Der Wirtschaftsminister? Vielleicht als Beirat bei gemächlichem Markt. Der Finanzminister? Jawoll, und zwar als einziger! Schäuble kann Strategie, er ist hart, ein ausgebildeter Charakter, ein Generalist von Graden. Deshalb auch als CFO oder als Leiter »F & E«, jedenfalls zukunftsbezogen. Der neue Verteidigungsminister? Ja, auch, als Chef der USA-Dependance. Und sonst? Die neue Arbeitsministerin? Charmantes Lächeln. Der neue Gesundheitsminister? Nett, sehr nett. Und so fort. Wir sind es selber Schuld.Beste Grüße aus Bonn, Ihr Reinhard Nenzel, Chefredakteur

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