UMAG-01-02-2020_Cover

Aus­ga­be 1/2 • 2020

Boygroup in der Bundesregierung

Editorial

Neue Normalitäten im Zeichen der Corona-Krise

Aha schreibt man par ordre der Bundesregierung jetzt AHA, was freilich noch eine der kleinsten Änderungen des All­tags ist. Das Robert-Koch-Institut ist zum alles beherrschenden »Think Tank« geworden und die leitenden Virologen der Republik sind in den Rang alter Hohepriesterkasten aufge­stie­gen. Es wird geraunt, gemutmaßt und gewarnt, mitunter ge­weissagt und gehofft, wobei alle Experten wissen, dass man nichts Ver­bindliches weiß. Die Erfahrungswerte der Vergangenheit sind nur bedingt zu brauchen. Gleichwohl gibt es einige Gewiss­heiten von Gewicht, die dafür sprechen, sich vor In­fek­tion zu schützen, da es schwere, sehr schwere und letale Verläu­fe gibt, außerdem nachlaufende Beeinträchtigungen und Beschwerden, die hässlich und womöglich kaum reversibel sind. Mit etwas Pech also kein Glück.

Gefragt sind folglich Vorsicht, kluge Verhaltensweisen und praktische Vernunft. Da die Trias gemeinsam hat, zurückhaltend in mancherlei Hinsicht zu sein, unterbleiben viele Dinge, die wirtschaftliches Handeln treiben und sonst Lebensfreude bedeuten. Alles aber, was es nicht gibt, geht auch in keine Erfolgsstatistik und keine Gewinnrechnung ein. Das kapitalistische Modell, das auf Angebot und Nachfrage baut, auf Kaufkraft und Konsum, auf globale Arbeitsteilung, Wertschöpfungsketten und Logistik, auf das Internet als bequemes Bestellmedium und auf immer fri­sches Kapital, das die Bruttoinlandsprodukte und die Börsenkurse froh eskalieren lässt, dieses Modell hat sich im Namen der Pandemie Ratlosigkeit einzugeste­hen. Denn selbst, wenn es bald einen wirksamen Impfstoff gibt, müsste er erst noch in ausreichenden Mengen verfügbar sein und in ausreichenden Mengen verabreicht werden. In diesem Zusammenhang wäre ein weiteres Jahr nichts. Was aber wird, wenn es dazu nicht kommt oder wenn sich COVID-20 oder COVID-21 verbreiten?

Indessen erkennen wir jetzt schon, dass das, was unter Menschen in geschlos­se­nen Räumen geschieht, obsolet sein kann, wobei es genug Anlässe und Monate gibt, in denen wir Dächern und Wänden dankbar sind. Genau genommen findet sogar das meiste »indoor« statt. Wer also die Minuten zählt, bis wir wieder un­be­fan­ge­nen Umgang pflegen, versteht die Dimension der Herausforde­rung nicht. Solange jeder jeden unbemerkt ge­fährden kann, ist eine neue Nor­ma­lität zu erfinden, einzufüh­ren und zu gestalten. So, wie wir nach Epochen der Quarzerei Rauchverbote erfahren ha­ben, nun das fossile Zeitalter beenden und Tempo-30-Zonen etab­­lieren.

Der Fortschritt auf Sicht kann demnach durchaus nicht in der Rückkehr zur Aus­übung von Freiheiten, sondern im Erlernen nachhaltiger Beschränkungen bestehen, deren Um­fang und deren Ausprägungen wir uns vielleicht noch gar nicht vorstellen können. Damit aber verändert sich die Rolle von Vater Staat, der als Hüter der Ge­setze und der Gewalt, als Kontrolleur ihrer Befolgung im digitalen Zeitgeist der »Tracker« und »Apps« zu einer Datenkrake ungekannten Ausmaßes wird. Wir werden uns noch wundern, was uns diesbezüglich blüht, zumal die Beschneidung des Pri­va­ten mit plausiblen Gründen, die wir sogar teilen, gerechtfertigt werden wird.

Mein Mann der Stunde übrigens ist Gentleman-Boxer Henry (Maske). Als Idol eines ausdauernden Kämpfers einer, der auch hartnäckige, tückische Gegner besiegt.

Beste Grüße aus Bonn, Ihr Reinhard Nenzel, Chefredakteur

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