UMAG-03-04-2020_Cover

Aus­ga­be 3/4 • 2020

Vollprofis unter sich

Editorial

Dergleichen geschieht.*
Ein Jahr ganz eigener Art

* Formulierung aus Robert Musils »Mann ohne Eigenschaften« (Berlin 1930 ff.)

Man müsste meinen, es sei alles gesagt, und zwar von jedem. Dafür sprechen die täglichen Akutnachrichten im TV, tausende Talkshows, kilometerlange Leitartikel, Analysen und Kommentare sowie Pentabyte Plattformbeiträge und Blogs im Internet. Dies zumindest die gefühlte Auseinandersetzungsmenge. Indessen bleibt das schale Resümé zurück, dass in dieser widersprüchlichen Flut mikrobischer »Wenns« und »Danns« wie Sediment zu Boden sinkt, was mit Friedrich Merz seit den frühen Mitteilungen aus Wuhan auf einen Bierdeckel passt. Diese Geschichte ist kurz erzählt: Es gibt ein neues böses Virus auf der Welt, das Milliarden Menschen infizieren und hässliche töd­­li­che Ver­­läufe hervorrufen kann, erst Luftnot, dann Erstickung. Schutz vor der Ansteckung bietet fürsorgliche Vorsicht, wenn sie nur wacker waltet: Abstand wahren, Hygiene, Atem­schutz. AHA! Wer trotzdem Aerosole abbekommt, spielt mit sich eine Lotterie, deren Nieten niemand braucht. Mehr ist nicht zu sagen. Sämt­li­che darüber hinausgehenden Details sind Irritationen, auch die Mahnungen von Karl Lauterbach.

COVID ist ein Ereignis, das unsere ganze Existenz auf diesem Planeten in den Spie­gel stellt und manches schonungslos erkennbar macht. Wie viele Zeitgenossen es gibt, die nicht richtig wahrnehmen, nicht zuhören und nicht begreifen, vorsätzlich und fahrlässig, während es ungezählte Erdenbürger in prekären Umständen und in unterentwickelten Regionen gibt, die keinen Zugang zu Masken haben und die nie getestet werden. Außerdem wie schlecht wir regiert werden, so­bald es um Strate­gien, um Maßnahmen, um deren Management sowie speziell um deren nachhaltige Durchsetzung geht, aber auch, wie entbehrlich sechzehnfache Partiku­lar­interessen unserer Bundesländer in hoheitlichen Themen sind, wozu außer der Ge­sundheit die Bildung und die Kultur gehören, wobei wir von der enttäuschenden, auch rhetorischen Hilflosigkeit des Robert-Koch-Instituts lieber schweigen. Klare Sprache Mangelware. Wir wenden unfassbare Ressourcen auf, Geld ohne Ende, Tests, Betten, In­ten­siv­me­dizin, Material und Masterpläne, aber wir schaffen den simplen Wellenbrecher nicht.

Leider sind aber auch die Medien zu kritisieren, die erneut ihr Lieblingsmissverständnis kultivieren. Hochgradige Experten, egal welcher Provenienz, also auch Virologen, die wir viel von pseudoaufklärerischen Moderatoren vorgeführt bekommen, sind kei­ne Welterklärer, sondern Spezialisten auf einem sehr schmalen Brett. Das, was sie erkunden, ist aller Ehren wert und verdient jeden Respekt, ist aber aus ihrem Munde dilletantisch, wenn es um die Steuerung der Gesellschaft geht. Unter dieser Prämisse sind sie ahnungslos wie Bademeister, Dirigenten oder Fußballtrainer, die zwar Ertrinkende bergen, Vierteltakte von Achteltakten unterscheiden oder Schalke 04 vor dem Abstieg aus der Bundesliga retten könnten, aber das ist es dann auch. Wis­sen­schaft ist davon geprägt, dass Antworten Fragen stellen. Erkenntnisse sind vo­r­­läufig, selbst in der Mathematik sind die Gründe von Formeln Stoff für phi­lo­so­phi­sche Diskussionen. Unter Mikroskopen, in Petrischalen, Pipetten und Reagenzglä­sern g­ibt es kein letztes Ding, nur noch kleinere Strukturen, die Dinge noch komplexer machen.

Was bleibt ist der gesunde Menschenverstand, vernünftige Schlüsse zu ziehen. Wer das gut kann, ist die Wirtschaft, insbesondere die Industrie, zumal Familienunterneh­men aller Art. Sie verratzen wenig und sind insofern gegen dieses und jenes immun.

Beste Grüße aus Bonn, Ihr Reinhard Nenzel, Chefredakteur

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