Auch in Anbetracht dieses »Good wills«, uns mittlerweile machen zu lassen, wäre es schön, wenn die Initiativen aus Berlin auf den relevanten Feldern der Glaubwürdigkeit etwas prinzipienfreudiger griffen. Beispielsweise im Hinblick auf die Todesdramen im Mittelmeer und auf den Datenschutz. Solange man im europäischen Konsens nach Kassenlage Seenotrettung vor Italien betreibt, werden noch sehr viele Menschen sterben. Wer das nicht will, richtet entweder geregelte Fährverbindungen von Nordafrika nach Lampedusa, Malta oder sonstwohin ein oder man geht das aus dem Ruder laufende Problem in der EU ganzheitlich und nachhaltig an. Das aber riefe arge Einsichten auf, etwa bezüglich verfehlter Strategien und Ziele, einschließlich fataler Einmischungen und Entwicklungshilfe, nicht nur auf dem afrikanischen Kontinent.
Ähnlich verhält es sich mit den Ereignissen auf Betreiben der NSA im Dunkeln der Dienste. Wer kurz grübelt, erkennt leicht, dass der technologische Fortschritt dazu führt, dass jeder professionelle Fischzug in globalen Datennetzen eine Versuchung bedeutet, der kaum zu widerstehen ist. Wenn die Abzapfzange erst einmal am Knotenpunkt sitzt, werden Sammlerphantasien wahr. Die Quelle spielt mir rund um die Uhr mit allem, was obsessive Neugier begehrt, die Massenspeicher voll. Offiziell legaler Fang und illegaler Beifang strömen in Hülle und Fülle. Alles muss, nichts kann, zumal es zahlende Abnehmer für nicht national Beauftragtes gibt. Recht und Unrecht sind keine parlamentarische Aufgabe mehr, sondern schlicht eine Frage der Kapazitäten.
Früher war Spionage Teil einer Sicherheitsarchitektur, unter dem Vorzeichen, dass die Karten so oder so offen lagen, was die Angst vor Überraschungen vermindert hat. Heute ist sie ein Herrschaftsinstrument, das nebenbei der Prophylaxe dient. Auch hier ist kein Attentismus geboten.
Beste Grüße aus Bonn, Ihr Reinhard Nenzel, Chefredakteur