UMAG-09-2010_Cover

Aus­ga­be 9 • 2010

Banker unter sich: Staatsschuldengarantien

Editorial

Eine neue Ausbaustufe zeitgemäßer Transparenz
Julian Assange, der blasse Mann von WikiLeaks, ein selbst ernannter Robin Hood im Cyberspace, hat es der Supermacht USA sowie deren strategischen Freunden, Satelliten, Satrapen und am allerschönsten natürlich ihren Feinden gezeigt: Nichts ist mehr vertraulich, wenn das Internet es will. Jeder, der Anschluss findet, kann Herrschaftswissen erwerben über Abgründe und Hintergründe der Planetenverwaltung auf amerikanische Art. In Anbetracht des großen Eifers, aus allen Winkeln der Welt in die Schaltzentralen zu reporten, scheint die Menge aufklärerischen Materials unbegrenzt, zumal in der historischen Dimension, mit Blick also auf vergangene Jahre in der Digitalität. Doch was kommt nun wirklich ans Licht? Gemessen an der Anmoderation des unerhörten Ereignisses in den Leitmedien, die das Privileg der ersten Lesung genossen, sollte man ja erschrocken sein, entsetzt, peinlich berührt, aber will man das denn auch? Möchte man tief in den Eingeweiden eines gigantischen Apparats die kritische Arbeit von Historikern tun, aus den Quellen zu schöpfen, zumal aus solchen sekundärer Provenienz? Ist es wirklich dankbar, auf allumfassendem Stand zu sein, hinsichtlich millionenfacher Miszellen, Meinungsbilder, Mutmaßungen und Momentaufnahmen, die meist Menschliches der insgeheim beurteilten Prominenz, allzu Menschliches, betreffen und die sich mit der nächsten Nachricht desselben Musters ad absurdum führen, da offenbar Belangloses festgestellt wird? Muss man auf dieser Sachbearbeiterebene des internationalen Zuträgergeschäfts zuhause sein, um seine eigene Einschätzung der Dinge im Großen und Ganzen zu überprüfen? Eher nicht. Interessanter also als die schiere Zahl der Dokumente und der darin auftretenden Führungskräfte aller möglichen Nationen ist, dass die kolportierten Einschätzungen von Eigenschaften und Handlungsmotiven etwa deutscher Kabinettsmitglieder und anderer Koalitionäre oft übereinzustimmen scheinen mit dem Image, das sie ohnehin haben. Insofern darf man beruhigt sein, dass im diplomatischen Milieu ähnliche Wahrnehmungen und Beschreibungen gelten wie in der Tagespresse. Wer hier wessen Maulwurf ist, bleibt freilich zu fragen.Überhaupt dieses arme Tier, das als Bodenlockerer in bundesrepublikanischen Gärten so gern Haufen wirft, und mit allerlei brutalem Gerät bis zu Schrotschuss, Böller, Säure, Lauge und Beschallung bejagt, als Inbegriff des Unwillkommenen gilt. Per se zwar unermüdlich emsig, aber blind. Eigentlich kein Favorit also für eine Ikone investigativer Arbeit. Was den kleinen Schaufelbagger adelt, ist die Tatsache, im Verborgenen zu wühlen und Dinge zutage zu fördern, ohne dass man sicher wüsste, zu welchem Ziel und Zweck. Das ist ja immer die Schwäche von so viel Überangebot an Depeschen und Dossiers, dass sich der Wert des einzelnen Zettels stark relativiert. Wer hunderte wesensverwandter Informationen haben kann, staunt nicht jedesmal neu, sondern verlangt eine pointierte Zusammenfassung, oder er stellt fest, dass alles, was er jetzt weiß, gar nicht erforderlich ist, um zu denken, was er aus eigenem Gutdünken denkt. In diesem Zusammenhang darf man annehmen, dass das meiste, was nun publiziert wurde, all jenen sowieso längst bekannt war, die rund um den Globus regelmäßig Gegenstand der Aufmerksamkeit des transatlantischen Meldewesens sind. Alles in allem also viel Lärm um nichts und dennoch alarmierend, wenn man das Ereignis aus dem Politischen aufs Unternehmerische übersetzt und das Thema brisant Richtung Patentschutz, Datenschutz, technologisches Know-how und Firmengeheimnisse erweitert. Diesbezüglich ist es deutlich schmerzhafter, seine Exklusivität, seine Verfügungsgewalt und seine Deutungshoheit zu verlieren. Gleichwohl gibt es auch hier keinen echten Schutz, sondern trotz noch so ausgefuchster Vorkehrungen letztlich nur die Gelassenheit, es im Falle des Falles, also bei Verlust von Vorsprungswissen an die Konkurrenz, es dennoch wieder besser als diese zu schaffen. Verrat hin oder her.Beste Grüße aus Bonn, Ihr Reinhard Nenzel, Chefredakteur

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