Aus­ga­be 5/6 • 2017

Ehrenwerte Gesellschaft auf sizilianische Art

Editorial

Gruppenbilder wie von einem kleine Empfang
Die Bundestagswahl ist nun einige Zeit her und man könnte den Eindruck haben, die Politik sei seither in Urlaub, zumindest aber irgendwie nicht da. Man hört nichts, es passiert ja nichts, und man ist schon fast versucht zu vergessen, dass
es früher mal lebendig war, als es noch Mehrheitsthemen in Deutschland gab, die das Volk bewegten. Als Fortschritt noch aus Freiheiten bestand und nicht aus Verboten. Dabei gibt es regelmäßig Bilder von einem steinernen Balkon in Berlin, auf dem Trauben von Unterhändlern erscheinen, deren gequälte Körperlichkeit nahelegt, dass dort in den Räumen ein Konklave gehalten wird, mit dem Ehrgeiz, es in der Tradition des Vatikans zum Äußersten zu treiben, bis es weißen Rauch geben soll. Stets mit dabei die Pontifexin, oft in leuchtendem Gewand. Umsie herum austauschbare Edelstatisten, die sich abends im Fernsehen litaneihaft mühen, ihre Spiegelfechtereien als wahrhaft geleistete Arbeit an der Zukunft unseres Landes erscheinen zu lassen.Komisch ist, dass nicht klar ist, was das soll. Die Teilnehmer gehören nach eigener Aussage vier disparaten Glaubensrichtungen an, wollen jetzt aber angeblich eine gemeinsame Kirche gründen, in der in einer Liturgie aus Kompromiss und Koalition nach demselben Ritus zu beten wäre. Der Wi derspruch besteht darin, dass die Frischluftfraktionäre wissen, dass sie müssen, allerdings sagen, dass sie erst mal schauen wollen, mit wem sie da eigentlich beisammen sind und wie das Halleluja klingen könnte, wenn jeder nur eine Silbe singt. Insofern sind Zweifel erlaubt, ob es Wochen brauchen muss, um sämtliche Erfahrungen und Erkenntnisse, die man aus langen Jahren professioneller Andersartigkeit miteinander hat, erneut zu machen. Wenn ich immer noch nicht weiß, was ich mit einem kann, obwohl ich ihn kenne, und zwar vor, in und hinter den Kulissen, helfen mir auch tägliche Teestundenrunden nichts. Außerdem kann es kaum im Interesse des demokratischen Gemeinwesens sein, wenn sich die Klassensprecher aus dem Bundestag im Kreise pöstchensfähiger Mitverhandler aus den Parteien ohne sinnvollen Entscheidungsgrund so nahe kommen, bis sie sich so sympathisch finden, dass es kaum noch für reelle Scharmützel zum Wohle der besten Politik für den gemeinen Bürger reicht.

Aus Frustration über die fehlenden Inhalte aus einem sich selbst findenden Berlin,
die sich konkret greifen ließen, sind wir mit Personalien aus der Abteilung Königsmord zufrieden, die freilich in der Durchführung auch enttäuschen. Horst Seehofers notwendiger Abgang zieht sich in die Länge, weil Brutus kein Brutus sein mag. Ein Charaktermerkmal der CSU, ihre Graumähnen in unwürdiger Weise zu demütigen, bis ein paar Pfründefreunde, die sich kurz verschwören, in einem Hinterzimmer austarocken, wie es geht, ohne dass es einer gewesen sein will. Die andere Figur, die es nicht lassen will, obwohl doch nichts naheliegender wäre, als dass er es lassen sollte, ist Martin Schultz. Dass sein Anspruch, sich an die Spitze der überlebenswichtigen Erneuerungsbewegung der SPD zu setzen, die es nur geben muss, weil Männer wie er den alten, ehrenwerten Überzeugungen nicht mehr entsprechen, dass dies nach dem Desaster in Prozenten möglich ist, ist erstaunlich genug.

Die Wirtschaft brummt. Die Rahmenbedingungen sind gut, die Märkte auch. Vielleicht ist es besser, wenn es in den nächsten vier Jahren bei Sondierungen bleibt.

Beste Grüße aus Bonn, Ihr Reinhard Nenzel, Chefredakteur

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