Aus­ga­be 5/6 • 2016

Morgen, Kinder, wird’s was geben

Editorial

Der französische Psychoanalytiker und Psychiater Jacques Lacan soll gesagt haben, wer sich für den König halte, habe einen Knall. Dem ist zuzustimmen, insofern das Diktum darauf abstellt, dass Selbstüberschätzung bis hin zum Größenwahn reichlich auf unserem Planeten zu Hause ist. Das wäre jedoch nicht neu. Die Pointe ist, dass der kluge Mann seine vermeintliche Banalität veredelte, indem er fortfuhr, dies gelte auch für den König. Damit kriegt die Sache einen anderen Dreh. Plötzlich wird eine Machtfrage gestellt und es geht um das Verständnis von Hierarchien und Gefügen, um Befehl und Gehorsam, um Willkür und Widerstand, um Schein und Sein, um Wahrheit und Fiktion, um Gottesgnadentum und um von unten geduldete Illusion. Modern gesprochen tritt das System in den Blick. Der Eine, in seiner eingebildeten Erhabenheit, und die ziemlich Vielen, die ihn glauben machen, dass er sie beherrschen könne, da sie sich in seinem Glanze sonnen, wobei spannend ist, wie lange und warum die behauptete Autorität gilt, also funktioniert, und wann sie als Anmaßung wahrgenommen, festgestellt und abgesetzt wird. König sein, in diesem Sinne, ist ein Spiel und kein Faktum. Dieser Status ist fragil und kann ständig in Frage gestellt, bestritten oder beendet werden.

Löst man sich von der Monarchie und taucht in demokratische Gefilde ein, gilt
im Prinzip dasselbe für Staatssekretäre, Minister, Kanzler und Präsidenten. Auch
sie alle verbrauchen den Respekt vor ihrem Amt und drohen es rasch zu verlieren,
wenn sie es als Mensch nicht mehr füllen, wobei dies für andere Führungskräfte
auf derselben Ebene oder eins drunter oder für die Menge und die Masse
erkennbar sein muss. Die inszenierte Stärke verkehrt sich in reale Schwäche und
ein Nachfolger hebt sich selbst aufs Schild oder er wird von Schildbürgern hoch
ge stellt. Nun leben wir ja, medienhipp wie wir sind, in der postfak tischen Zeit
und haben diesen Begriff am amerikanischen Wahlkampf gelernt. Dort soll der
unterhaltsame Mann mit der originellen Frisur, der seine Krönbarkeit durch ein
goldiges Leben im Louis-Quinze-Stil illuminiert, dieser Einzige unter den Selbstgerechten, er soll drauflosgelogen haben, dass sich die Balken vor den Köpfen seiner Wähler bogen, was ihm und ihnen bislang freilich nicht geschadet hat. Das muss an seinem Charisma liegen. Seine Ausstrahlung ist offenbar bedeutsamer als das, was er sagt. Man könnte auch sagen, sein Image, also das Bild, das andere sich von ihm machen, qualifiziere ihn als Garanten dafür, ihre Sehnsüchte zu erfüllen. Dazu wird es nur rhetorisch kommen. So viel Prognose darf sein.

Das lernt man aber nicht an den Verheißungen, die sich auf Künftiges beziehen,
sondern an den Handlungen, die der Erfahrung zugänglich sind, also an erlebtem
Verhalten. Richtig ist nur, dass unser Denken älter als unsere Gegenwart ist.
Wir vertrauen intuitiv archaischen Bildern und Erwartungen, die aus einer Zeit
sind, in der die Bezeichnung und das Bezeichnete am Anfang der Sprache noch
passgenau waren. Ein König, als Begriff für eine Idee, war königlich, sonst könnte
er ja nicht König werden. Wir projizieren kollektive Normen in ein Gegen über und in Dinge hinein und sind daher so anfällig für Verführungen. Wir sehen und wir hören, was wir wollen. Auch das ist nicht neu, aber als Erinnerung energieeffizient. Selbstdarstellung verdient weniger Respekt als unternehmerische Taten.

Beste Grüße aus Bonn, Ihr Reinhard Nenzel, Chefredakteur

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