Aus­ga­be 4 • 2008

Nie so wichtig wie vor Wahlen

Editorial

Die Unverlässlichkeit einer neuen Generation

 

Unternehmer sind mit Verlaub Meister des Mundes, besser: Großartige Kommunikatoren. Sie organisieren ihre Entscheidungswelt verbal. Auf der Kommandobrücke wird mit Ansagen geführt. Die Informationsaufnahme und die Informationsverarbeitung finden im eigenen Metier durch Frage und Antwort in Sitzungen, in Meetings, mit Kunden und Lieferanten, ambulant an der Werkbank oder auf anderem Gebiet im Dialog mit Wissensdienstleistern statt. Ansonsten suchen Inhaber im Mittelstand den persönlichen Austausch mit ihresgleichen, wobei sie die Rahmenbedingungen und die Märkte erörtern, noch mehr aber auf ihre Branche, ihren Betrieb und ihr Geschäft zu sprechen sind. Geschwiegen wird hingegen eisern über Befindlichkeiten. Nur selten kommt es vor, dass ein Spitzenmann oder eine Spitzenfrau in der Außendarstellung einräumen, emotional engagiert zu sein, noch rarer aber ist, dass er oder sie Gefühle zeigen. Fast scheint es so, als ob der beidschultrig getragene Beruf auf Selbstkontrolle zwecks Sammlung aller inneren Kräfte setzt. Dabei wird es freilich auch kaum vergnügungssteuerpflichtig sein, im harten Wettbewerb Verantwortung für ein kleines oder großes Haus mit seinen Menschen und Maschinen zu haben. Im Normalzustand der Sorge um das Gelingen des Plans, Zukunftssicherung durch Wachstum zu bewirken, wird der Wesenskern durch Vorkehrungen gegen etwaige Verletzungen gewappnet. Wer von diesem Schutzmechanismus nichts weiß, könnte fälschlich Kälte feststellen. Tatsächlich dient die leichte Panzerung der Seele nur dazu, in allen denkbaren Überraschungsmomenten handlungsfähig zu bleiben. Die Zusammenfassung bis hierhin heißt, dass man als Unternehmer nicht zu sensibel sein sollte.

Da niemand aber nur absorbieren kann, während er anderen ständig seine Entscheidungskraft leiht, gibt es intern sehr wohl Momente der Unlust, der Melancholie und der Niedergeschlagenheit und es kommt vielleicht auch zu Eruptionen, um den angeschlagenen Gefühlshaushalt wieder ins Lot zu bringen. Die engsten Mitarbeiter(innen) hatten früher die in keinem Stellenplan erfasste Funktion, ihrem Chef oder ihrer Chefin Puffer gegen vordringendes Ungemach und Rückhalt bei dessen nachträglicher Verarbeitung zu sein. Diese Zuwendungsbereitschaft in Form aufrufbarer Loyalität auf höchster Ebene wird mit besonderem Vertrauen honoriert, was nicht heißt, dass Kritiklosigkeit herrschte. Vielmehr geht es darum, dass im Augenblick eines herben Rückschlags, der erst verdaut sein will, von einem Mitgesellschafter, von einer Führungskraft, vom Assistenten oder von der Sekretärin ein Quantum Miterleiden angeboten wird. Der eine, der dauernd die Verantwortung trägt, nimmt die anderen in seiner nächsten Nähe bisweilen wie der Hochleistungssportler ein Entmüdungsbecken in Anspruch, um sich für künftige Strapazen seines Aushaltevermögens zum Vorteil aller zu regenerieren.

Da dies wie stets, wenn einer etwas Wertvolles gibt, was ein anderer nimmt, keine Selbstbedienung ist, wird auch der Unternehmer an gewissen Aufregungen und Bedrückungen Anteil nehmen, die sich ihm zeigen. Ganz sicher aber wird er Nachwuchsleute in seinem Umfeld in diesem Sinne ganzheitlich, also nicht nur aufgabenbezogen, sondern auch im Format, durch erstklassigen Input fördern. Damit aber ist man heute auf unsicherem Terrain. Passieren kann, dass schwer erworbene Erfahrungen bereitwillig eröffnet werden, um Lernjahre eines Jüngeren aus Freude am raschen Kompetenzgewinn abzukürzen, ohne dass dies zu einer verständigen Festigung der Bindung führt. Der eine oder andere »High potential« hat den Ernst des Lebens noch nicht erkannt und wird bloß solange seine Vorteile saugen wie er ohne Commitment profitiert. Zu merken ist die Schauspielerei, wenn es plötzlich zum Abgang kommt, da anderswo noch mehr Umworbensein winkt. Man muss wohl die Reifeprüfung verlängern.

Beste Grüße aus Bonn, Ihr Reinhard Nenzel, Chefredakteur

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