Da niemand aber nur absorbieren kann, während er anderen ständig seine Entscheidungskraft leiht, gibt es intern sehr wohl Momente der Unlust, der Melancholie und der Niedergeschlagenheit und es kommt vielleicht auch zu Eruptionen, um den angeschlagenen Gefühlshaushalt wieder ins Lot zu bringen. Die engsten Mitarbeiter(innen) hatten früher die in keinem Stellenplan erfasste Funktion, ihrem Chef oder ihrer Chefin Puffer gegen vordringendes Ungemach und Rückhalt bei dessen nachträglicher Verarbeitung zu sein. Diese Zuwendungsbereitschaft in Form aufrufbarer Loyalität auf höchster Ebene wird mit besonderem Vertrauen honoriert, was nicht heißt, dass Kritiklosigkeit herrschte. Vielmehr geht es darum, dass im Augenblick eines herben Rückschlags, der erst verdaut sein will, von einem Mitgesellschafter, von einer Führungskraft, vom Assistenten oder von der Sekretärin ein Quantum Miterleiden angeboten wird. Der eine, der dauernd die Verantwortung trägt, nimmt die anderen in seiner nächsten Nähe bisweilen wie der Hochleistungssportler ein Entmüdungsbecken in Anspruch, um sich für künftige Strapazen seines Aushaltevermögens zum Vorteil aller zu regenerieren.
Da dies wie stets, wenn einer etwas Wertvolles gibt, was ein anderer nimmt, keine Selbstbedienung ist, wird auch der Unternehmer an gewissen Aufregungen und Bedrückungen Anteil nehmen, die sich ihm zeigen. Ganz sicher aber wird er Nachwuchsleute in seinem Umfeld in diesem Sinne ganzheitlich, also nicht nur aufgabenbezogen, sondern auch im Format, durch erstklassigen Input fördern. Damit aber ist man heute auf unsicherem Terrain. Passieren kann, dass schwer erworbene Erfahrungen bereitwillig eröffnet werden, um Lernjahre eines Jüngeren aus Freude am raschen Kompetenzgewinn abzukürzen, ohne dass dies zu einer verständigen Festigung der Bindung führt. Der eine oder andere »High potential« hat den Ernst des Lebens noch nicht erkannt und wird bloß solange seine Vorteile saugen wie er ohne Commitment profitiert. Zu merken ist die Schauspielerei, wenn es plötzlich zum Abgang kommt, da anderswo noch mehr Umworbensein winkt. Man muss wohl die Reifeprüfung verlängern.
Beste Grüße aus Bonn, Ihr Reinhard Nenzel, Chefredakteur