Die in den Medien anzutreffende Vorhersagemanie verstellt freilich den Blick auf die schnöde Realität. Zahllose Sandkastenkassandras gefallen sich in hysterischer Theorie, zumal im Internet, wo ja heute, wer will, jederzeit internationale Börsenkurse, Rohstoffpreise und andere Frühwarnindikatoren mitlesen kann. Alle diese Zahlenzuckungen haben ihre eigenen, ständig aktuell angefütterten Ursächlichkeiten, die in weiterführenden Links ebenfalls tief gestaffelt verfügbar sind. Man könnte folglich rund um die Uhr Mutmaßungen von Auguren, Analysten, Interpreten und Kommentatoren bedenken, die aber kaum weiterhelfen, da die Betrachtungsebene schlicht zu abstrakt ist. Aussagekräftiger als Indizes, Stimmungsbilder und Branchengeraune sind harte Unternehmensdaten, etwa von zwei oder drei namhaften Anbietern. Wenn sich Daimler, BMW und Opel zeitgleich erkälten, ist erfahrungsgemäß klar, wer alles in Bälde angesteckt wird. Dass diese heftige Automobilinfluenza geschwächte Zuliefererorganismen nicht nur dem Siechtod weiht, sondern kurz und herzlos umbringen kann, steht leider fest.
Insofern sagt der glaubhaft gemeldete starke Auftragseinbruch führender Adressen mehr aus als sämtliche Spekulationen von Politikern, Professoren und Prinzipalen des Nachrichtengeschäfts. In der gegenwärtigen Situation ist das, was werden könnte, nicht so bedeutsam wie das, was ist. Die Betriebe sind gehalten, abermals zu restrukturieren. Wer keine neuen Märkte in der Vorhalte hat und keine schnell umsetzbaren Innovationen, wird Kapazitäten abbauen müssen, um seine Liquidität zu erhalten. Zudem bleiben geplante Wachstumsprojekte auf der Strecke. Der zweite Krisenbekämpfungsansatz lautet, schonungslos die Ressourcen und die Prozesse zu prüfen. Rationalisierung und Steigerung der Produktivität sind die Schlüsselworte der Stunde. Die Verwaltung des vermeintlich währenden Wohlstands reicht nicht aus.
Indessen sind gewisse Sorgen über die Mentalität jüngeren Spitzennachwuchses erlaubt. Beispiel Sporthochschule Köln: Die Vorturnnormen zur Aufnahme in den Studiengang sind moderat. Männliche Bewerber sollen geruhsame 13,4 Sekunden über hundert Meter unterbieten. Ähnlich sieht es in den anderen Disziplinen aus. Die, die eine Übung nicht schaffen, hadern nicht etwa vorzugsweise mit sich selbst, sondern üben sich in einem Fernsehbericht in Erklärungen. Zu meiner Zeit hatte ich 11,4 Sekunden zu bieten. Ich hielt mich für zu schlecht.
Beste Grüße aus Bonn, Ihr Reinhard Nenzel, Chefredakteur