Aus­ga­be 10 • 2008

Alles Gute kommt von oben

Editorial

Vermuten und Wissen im Informationszeitalter
Hasso Plattner, der strategische Wegweiser von SAP, hat es richtig gesagt: Im Moment weiß keiner, wie es mit der Weltwirtschaft weitergeht. Vor uns steht eine Nebelwand. Gelackmeiert sind die modernen Zukunftsfetischisten, die so gern nur das Künftige für kreditwürdig erklären. Sie haben Pause. Blamiert sind schon die ökonomischen Forschungsinstitute, die sich mit immer neuen, noch dramatischeren Prognosen überboten, bis Grummler Marke SPD-Struck und CSU-Glos Gewehr bei Fuß geboten: So gehe das nicht! So viel Negatives könne niemand brauchen. So viel Minusmacherei sei unseriös. Gut, dass eine Katastrophe also gar nicht möglich ist. In der Tat darf ja erstaunen, wie die Konjunkturexperten der Republik es schaffen, ganze Bandbreiten von Meinungen zu erzeugen, statt des Pudels Kern zu knacken. Die Kanzlerin spricht gewohnt dunkel ahnungsvoll von Herausforderungen. Das wird wohl so sein. Als Allheilmittel soll es nie dagewesene Anstiftungsprogramme geben. Man nimmt Steuergeld in die Hand, das man vernünftigerweise nicht aus dem Tresor holen würde. Allerdings scheinen die aufgerufenen Beträge gemessen an den erkennbaren Problemen relativ gering. Zunächst 25 Milliarden Euro für Infrastruktur, Bildung und Tralala. Kuriose Ideen wie Konsumgutscheine für jeden oder Staatsanleihen für Begüterte sind wieder vom Tisch. Immerhin! Man dankt!

Die in den Medien anzutreffende Vorhersagemanie verstellt freilich den Blick auf die schnöde Realität. Zahllose Sandkastenkassandras gefallen sich in hysterischer Theorie, zumal im Internet, wo ja heute, wer will, jederzeit internationale Börsenkurse, Rohstoffpreise und andere Frühwarnindikatoren mitlesen kann. Alle diese Zahlenzuckungen haben ihre eigenen, ständig aktuell angefütterten Ursächlichkeiten, die in weiterführenden Links ebenfalls tief gestaffelt verfügbar sind. Man könnte folglich rund um die Uhr Mutmaßungen von Auguren, Analysten, Interpreten und Kommentatoren bedenken, die aber kaum weiterhelfen, da die Betrachtungsebene schlicht zu abstrakt ist. Aussagekräftiger als Indizes, Stimmungsbilder und Branchengeraune sind harte Unternehmensdaten, etwa von zwei oder drei namhaften Anbietern. Wenn sich Daimler, BMW und Opel zeitgleich erkälten, ist erfahrungsgemäß klar, wer alles in Bälde angesteckt wird. Dass diese heftige Automobilinfluenza geschwächte Zuliefererorganismen nicht nur dem Siechtod weiht, sondern kurz und herzlos umbringen kann, steht leider fest.

Insofern sagt der glaubhaft gemeldete starke Auftragseinbruch führender Adressen mehr aus als sämtliche Spekulationen von Politikern, Professoren und Prinzipalen des Nachrichtengeschäfts. In der gegenwärtigen Situation ist das, was werden könnte, nicht so bedeutsam wie das, was ist. Die Betriebe sind gehalten, abermals zu restrukturieren. Wer keine neuen Märkte in der Vorhalte hat und keine schnell umsetzbaren Innovationen, wird Kapazitäten abbauen müssen, um seine Liquidität zu erhalten. Zudem bleiben geplante Wachstumsprojekte auf der Strecke. Der zweite Krisenbekämpfungsansatz lautet, schonungslos die Ressourcen und die Prozesse zu prüfen. Rationalisierung und Steigerung der Produktivität sind die Schlüsselworte der Stunde. Die Verwaltung des vermeintlich währenden Wohlstands reicht nicht aus.

Indessen sind gewisse Sorgen über die Mentalität jüngeren Spitzennachwuchses erlaubt. Beispiel Sporthochschule Köln: Die Vorturnnormen zur Aufnahme in den Studiengang sind moderat. Männliche Bewerber sollen geruhsame 13,4 Sekunden über hundert Meter unterbieten. Ähnlich sieht es in den anderen Disziplinen aus. Die, die eine Übung nicht schaffen, hadern nicht etwa vorzugsweise mit sich selbst, sondern üben sich in einem Fernsehbericht in Erklärungen. Zu meiner Zeit hatte ich 11,4 Sekunden zu bieten. Ich hielt mich für zu schlecht.

Beste Grüße aus Bonn, Ihr Reinhard Nenzel, Chefredakteur

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