Demgegenüber fällt die Politik notorisch ab, was daran liegt, dass Parteien sich grundsätzlich ideologisch definieren, also durch ein naiv verkürztes Weltbild, in dem es viel schwarz gibt und viel weiß, gut und schlecht, richtig und falsch, Freunde und Feinde, während das Leben in seiner Pracht regelmäßig in tausend Schattierungen erscheint, mal so und mal so, eben nicht in Klarheit, sondern in einem ewigen Komparativ, gemessen an dem Vielen, was man kennt. Soll heißen, der durch Wahlen vorgegebene Wandel der richtungsweisenden Kräfte in unserer Demokratie mag wohl ein Mittel gegen Verfestigungen, Verkrustungen und Verfilzungen sein, aber er ist auch ein Lähmungselement, weil es halt keine Varianten ein- und derselben Vernunft geben kann. Regatten werden nicht durch Ausflüge in Flauten gewonnen, während der Wind auf der Direttissima weht. Siegreiche Springreiter meistern den Parcours auf der Hinterhand und steigen nicht nach jedem Oxer vom Pferd, um es zu kosen. Insofern wird man im Rückblick auf Legislaturperioden, in denen es kaum besser, sondern bloß anders wurde, Stagnation feststellen, leider auch in der Besinnung auf Schwarz/Gelb seelig. Phrasen ersetzen eben weder Integrität noch Talent noch Wissen noch Können noch Mut noch Tatkraft noch Fortune.
Je nach Temperament als erstaunlich bis bestürzend durfte wahrgenommen werden, wie sehr sich die neuen Koalitionäre auf breiter Front miteinander verbrüdert und verschwestert haben. Wie rasch und reibungslos die Gräben überbaut wurden, von denen wir dachten, sie zeigten uns das Pro und Contra im Streitwettbewerb einer früheren Regierung und einer früheren Opposition. Es menschelte bald. Frau Nahles und Herr Dobrindt hielten sich plötzlich in der avisierten Infantenrolle aus und konnten gar als künftige Kabinettsmitglieder gemeinsam lächeln.
So viel Eintracht muss dann auch wieder nicht sein. Kompetenz wird in jeder ordentlichen Organisation höher als Kameraderie und Kumpanei gewertet. Aber vielleicht ist es in der rasanten Globalisierung auch gar nicht mehr so wichtig, wer am Ende in Berlin das Gemeinwesen präsidiert. Vielleicht tagen und arbeiten die Ministerräte in den entwickelten Ländern so wie sie sich darstellen, heute schon auf einem Nebenschauplatz der Weltgeschichte. Vielleicht kommt es darauf an, die Zukunft aus eigener Kraft pragmatisch zu gestalten. Was Unternehmer halt tun.
Beste Grüße aus Bonn, Ihr Reinhard Nenzel, Chefredakteur