Editorial
Der Fußball, Firmen und unser deutscher Zeitgeist
Das war wohl nichts in Katar, allerdings nichts Unerwartetes. Eine traditionsreiche Großmacht im Fußballsport führt vor, was Kleinmut, falsche Prioritäten und fehlende Zielstrebigkeit bewirken. Schickt den netten Herrn Flick, den geschmeidigen Herrn Bierhoff und Reformer Neuendorf mit allen Funktionären im DFB heim und beruft Loddar Matthäus als neuen Bundestrainer. Der zerknitterte Mann erinnert sich noch an die Tugenden, mit denen man absichtlich Tore schießt und Spiele gegen kleine und große Gegner gewinnt. Man muss den Sieg wollen, Mittelstürmer auf dem Platz haben, die Kugeln auch im Schlaf versenken, und sollte seine kostbare Zeit nicht mit unproduktivem Ballbesitz vertrödeln. Die Praxis schlägt wie immer die Theorie. Das Ganze sollte im Vortrag auf dem Rasen gefallen, muss es aber nicht. Ergebnisse beruhen in der Hauptsache auf Talent, auf Können und auf Selbstvertrauen, sowie hoffentlich nicht eingepreist auch auf Zufall und Glück. Das heißt, hoch qualifizierte Mannschaften brauchen zwar verantwortliche Treiber und Dirigenten, aber weder bunte Bindendebatten noch verkopfte Taktiken von der Bank.
Das Ausscheiden nach der Vorrunde ist deshalb ärgerlich, weil die aufgebotenen Ressourcen, vulgo die Spieler, mit der richtigen Mentalität in der Lage gewesen wären, ihren Job erfolgreich zu tun. Grundsätzlich ist alles im Überfluss da, ja es ist eigentlich sogar viel zu viel, was an tertiären Details geregelt wird, statt das Wesentliche zu fokussieren. Es ist sinnbildlich wie unlängst mit dem Hochwasser an der Ahr. Wir haben hoch ausgerüstete Feuerwehren, ein materialstarkes Technisches Hilfswerk, zig tausende junge Männer mit und ohne schweres Gerät in Kasernen und den Katastrophenschutz, aber wir schaffen es trotz mehrstündigem Vorlauf nicht, eins und eins zu addieren und die Menschen am Fluss vorzuwarnen.
Das allgemeine Entsetzen, das in Anbetracht solchen Versagens regelmäßig auf dem Fuße folgt, ist so überflüssig wie ein Kropf. Dinge, die sich leicht vermeiden lassen, dürfen einfach nicht geschehen. Eben darin besteht ja die Professionalität. Wenn sie sich dann aber doch ereignen, man denke gerne auch noch einmal an die völlig verkorkste letzte Bundestagswahl in Berlin, dann fördert die Nachbetrachtung stets zu Tage, dass einfache Überlegungen und einfache Kontrollen unterlassen worden sind, ob die Vorsorge für denkbare Eventualitäten auch klappt.
Wie aber geht die Analyse? Sie fängt mit vielen Beobachtungen an, stellt Dinge fest und deutet sie in ihren unerwünschten Wirkungen. Dann ist zu fragen, wie es optimal ohne alle Schwächen wäre und wie man zu diesen Stärken kommt. Wichtig ist, die Kernprozesse zu betrachten, aber alles wegzulassen, was irrelevant für sie ist. Wenden wir das Paradigma auf die Wirtschaft an, meistert sie mit Kompetenz und Klasse routiniert Herausforderungen selbst der gröbsten Art, doch sie könnte ebenfalls etwas verbessern, im Hinblick auf ihr Selbstverständnis und auf Kommunikation. Es scheint, als ob es völlig normal geworden sei, seine Aktivitäten nur auf den Verkauf auszurichten: Messen, Branche, »Social Media«. Umsatzwachstum um jeden Preis. Die Aufnahmefähigkeit der weltweiten Märkte lässt es zu. Im Übrigen wird das eigene Umfeld am Stammsitz intensiv bearbeitet. Dabei aber kommen Idealismus und Altruismus mit gesellschaftlicher Reichweite zu kurz.
Beste Grüße aus Bonn, Ihr Reinhard Nenzel, Chefredakteur